27.03.2021
Von Dr. Christof Spannhoff
Von der Glandorfer Straße zweigt in der Höhe des Anwesens Nr. 44 (Horstmeier) ein Weg ab, der einen ungewöhnlichen Namen trägt: Baggerien. Doch woher kommt eigentlich diese Benennung? Es handelt sich ursprünglich um einen Flurnamen „In de Baggerien“, der an der dreieckigen Fläche zwischen Glandorfer Straße, Baggerien und dem ersten Verbindungsweg südlich des Anwesens Baggerien 1 hing. Der Volksmund erklärt den Namen damit, dass hier bis etwa 1895 nach Raseneisenstein für die Georgsmarienhütte gegraben bzw. „gebaggert“ worden sei. Diese Erklärung scheitert allerdings daran, dass das Eisenhüttenwerk erst nach 1857 eingerichtet wurde, der Flurname aber bereits im Urkataster von 1828 erscheint. Er ist also älter als der Abbau von Raseneisenerz.
Mit dem Tätigkeitswort baggern oder der Maschinenbezeichnung Bagger hat der Flurname auch nur indirekt zu tun. Des Rätsels Lösung bietet ein altes, dreibändiges Lexikon, das zwischen 1798 und 1800 gedruckt wurde. Es handelt sich um das „Alphabetische Handbuch der besonderen Rechte und Gewohnheiten des Hochstifts Osnabrück mit Rücksicht auf die benachbarten westfälischen Provinzen“, das der Jurist Johann Ägidius Klöntrup (1755–1830) verfasste. Klöntrup war ein guter Kenner der hiesigen Region, weil er in Glane bei Bad Iburg geboren wurde und aufwuchs. Im ersten Band seines Handbuches führt er auch das Stichwort Bagger: „Bagger sind nichts anderes als Hollandgänger, die daselbst den Torf baggenn [!]“ Und im zweiten Band des Lexikons schreibt Klöntrup zu den Hollandgängern: „Die Hollandgänger sind Heuerleute und andere geringe Einwohner [...], welche auf einige Zeit des Jahrs nach Holland gehn, um dort entweder Gras zu mähen, oder Torf zu baggen. Im ersten Fall nennt man sie Hamkemäher, im letzten Falle Bagger.“ Die Baggerien dürften ihren Namen also von Torfstechern erhalten haben, die dort wohnten. Auch aus Lienen gingen zahlreiche Männer im 18. und 19. Jahrhundert zum saisonalen Nebenerwerb in das Nachbarland.
Das Baggerien-Dreieck auf der Flurübersicht zum Urkataster von 1828/29.
Im ausgehenden 16. Jahrhundert führte ein wirtschaftlicher Aufschwung in den Niederlanden dazu, dass sich in den aufstrebenden Städten durch Handel, Schifffahrt und Gewerbe gute Verdienstmöglichkeiten ergaben. Die ländliche Bevölkerung zog es deswegen dorthin. Deshalb wurden aber in der niederländischen Landwirtschaft die Arbeitskräfte knapp. August Karl Holsche (1746–1830) schreibt dazu 1788 in seiner Beschreibung der Grafschaft Tecklenburg: Es „gehen alle Jahr im Sommer, wenn die Feldarbeit vorbey und das Linnen fertig ist, viel hundert Menschen nach Holland auf Arbeit, zum Torfmachen, Ziegelbrennen, Grasmähen, Heuen, in den Gärten zu arbeiten, und andere Beschäftigungen zu verrichten, und bleiben 6, 8, 12 bis 18 Wochen aus. Diese bringen 30, 40 bis 80 Gulden baar Geld mit zu
Hause, wenn sie nicht erkranken; viele erwerben dies Geld aber auf Kosten ihrer Gesundheit, werden steif, vor der Zeit alt, und haben einen siechen Körper, besonders die in den Torfmooren arbeiten, weil sie die ganze Zeit über bis an die Knie im Wasser stehen müssen und schlecht beköstiget werden. Man rechnet, daß jährlich über 600 Menschen auf Arbeit nach Holland gehen.“ 1750 wurden 556 Wanderarbeiter gezählt, 1811 waren es bereits 630 und 1828 zog es 1398 Menschen aus dem Kreis Tecklenburg in die Niederlande, 42 Prozent der damaligen Wanderarbeiter des gesamten Regierungsbezirks Münster (3353 Personen) überhaupt. Das Ende des Hollandgangs wurde in den 1830er Jahren eingeläutet. Nachdem das damalige Vereinigte Königreich der Niederlande in Belgien und die Niederlande aufgeteilt worden war, wurde eine Anmeldepflicht für alle Fremden und ein Verbot der Beschäftigung ausländischer Arbeiter in staatlichen Betrieben eingeführt. Hinzu trat eine steigende Konkurrenz durch niederländische Landarbeiter, wodurch sich die Verdienstmöglichkeiten verschlechterten. Die saisonale Wanderarbeit in die Niederlande verlor somit für die Bevölkerung des Tecklenburger Landes an Bedeutung.