20.03.2021

Ein Arzt vor 250 Jahren

Der Tecklenburger Kreisphysikus Dr. Leonhard Ludwig Finke (1747–1837)

Von Dr. Christof Spannhoff 

Gegen die Folgen der Corona-Pandemie kämpfen aktuell auch im Tecklenburger Land viele Ärztinnen und Ärzte in Praxen und Krankenhäusern an. Vor gut 250 Jahren war es allerdings nur ein einziger studierter Mediziner, der den Wettstreit mit einer Epidemie aufnehmen musste, die die Bevölkerung der Grafschaft Tecklenburg zwischen 1776 und 1780 vier lange Jahre lang beutelte: der damalige Kreisphysikus Dr. Leonhard Ludwig Finke. Finke wurde am 24. Oktober 1747 in Westerkappeln als Sohn des dortigen Pfarrers geboren. Sein Vater stammte ursprünglich aus dem lippischen Blomberg. Die Mutter starb im Siebenjährigen Krieg (1756–1763) und Finke selbst war bis zu seinem 15. Lebensjahr von kränklicher Natur, weshalb er den Entschluss fasste, gegen den Willen des Vaters, Arzt zu werden. Nach dem Tod der Mutter war die häusliche Erziehung eher dürftig. Wohl deshalb findet man den jungen Finke ab 1765 auf dem Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin, wo er bis 1769 unterrichtet wurde und während dieser Zeit in sehr bescheidenen Verhältnissen lebte. Danach studierte Finke Medizin in Halle a.d. Saale und wurde dort 1772 mit der Arbeit „De salubritate febrium in morbis chronicis“ (Über die Heilkraft der Fieber bei chronischen Krankheiten) promoviert. Nach zweijähriger ärztlicher Tätigkeit im westfälischen Lengerich ließ er sich ab 1774 in Kassel in Geburtshilfe ausbilden, bevor er 1776 in Tecklenburg als „Landphysikus“ und Hebammenlehrer Anstellung fand. Gerade in diese Zeit fiel im Tecklenburger Land der Beginn einer Epidemie von „Gallenfieber“ (Typhus), die Finke untersuchte und in einer gut 200-seitigen Abhandlung ausführlich beschrieb. Dieses Werk liegt sowohl in lateinischer Sprache (Münster 1780) als auch in deutscher Übersetzung (Nürnberg 1787 und Frankfurt 1791) vor. Auch ins Französische wurde die Studie 1815 übertragen. Sie trägt den Titel: „De morbis biliosis anomalis, occasione epidemiae, cuius historia praemissa est, ab anno 1776–1780 in comitatu tecklenburgensi observatis“ oder „Abhandlung von den Anomalischen Gallenkrankheiten, die während der in der Grafschaft Tecklenburg in den Jahren 1776–1780 herrschenden Epidemie beobachtet worden sind“. 

Als Finke seine Stellung in Tecklenburg aufnahm, fand er desolate Verhältnisse vor. Diese werden 1788 von August Karl Holsche in seiner Beschreibung der Grafschaft Tecklenburg anschaulich dargestellt: „Es hält schwer, das Medicinalwesen auf dem platten Lande, wo die Menschen weitläufig auseinander wohnen, gemeinnützig und zweckmäßig einzurichten, denn ein Arzt kann die Kranken so oft unmöglich besuchen, als es die Krankheit wohl erforderte, und mehrere Aerzte können in einer so kleinen Provinz nicht bestehen. Vor diesem brauchten die Landleute daher selten einen Arzt, und überließen die Kranken ihrem Geschick, oder liefen höchstens zum Quacksalber. Dies rührte mit davon her, daß der Landphysikus ein alter unthätiger Mann war, der die Kranken nicht besuchte und wenn er um Rath gefragt wurde, höchstens ein Recept schrieb, er hatte mehr zu thun, denn er war auch Postmeister. Seitdem dieser aber gestorben und jüngere Aerzte, welchen es nicht an Geschicklichkeit und Willen fehlet, Kranke zu besuchen und ihnen zu helfen, hergekommen, hat sich dies sehr geändert, die Bewohner des platten Landes sowohl als der Städte gewöhnen sich an den Arzt und das Medicinalwesen ist in dieser Provinz so gut als es nach den Umständen seyn kann.

Das Titelblatt der lateinischen Beschreibung der Typhus-Epidemie im Tecklenburger Land von 1780.
Foto: Dr. Christof Spannhoff

Der Landphysikus ist zugleich Hebammenlehrer, selbige müssen bey ihm Unterricht nehmen und werden vereydet. (…) Die Blattereinimpfung ist im Tecklenburgischen schon ziemlich im Gange, in einigen Kirchspielen herrschet nur noch ein Vorurtheil dagegen. Wenn der gemeine Mann die Kosten nicht scheuete, und es wie eine Wohlthat ansähe, wenn der Himmel ihm einige Kinder abnimmt, würde es bald allgemein werden. In Tecklenburg geschiehet es ohne Ausnahme und der Erfolg ist sichtbar, denn im verwichenen Jahre (1787), da die Blattern ungemein gewüthet und blos im Kirchspiel Kappeln über 100 Kinder daran gestorben, sind in Tecklenburg nur zwey daran geblieben, wovon es noch zweifelhaft war, ob nicht eine andere Krankheit den Tod bewirkt habe. Würde der Arzt aus einem öffentlichen Fond dafür belohnet, und könnte die Einimpfung unentgeldlich geschehen, würde sie bald allgemein werden. Den Chirurgen müßte aber Unterricht darinn gegeben werden, denn der Landphysikus kann unmöglich durch die ganze Grafschaft die Einimpfung besorgen (…). An Chirurgen fehlet es nicht, in den Städten ja so gar in einigen Dörfern sind eine hinlängliche Anzahl, allein die Chirurgie wird, wie allgemein die Klage ist, allzu Handwerksmäßig getrieben, und fehlet es den meisten Chirurgen an theoretischen Kenntnissen.“

Verblüffend, wie die von Holsche angesprochene damalige Impfproblematik mit der aktuellen Situation vergleichbar erscheint. Wie Holsche so schrieb auch der Kreisphysikus Finke schon 1780, dass die Tecklenburger Landbevölkerung ungern einen Arzt konsultiere und sich lieber mit Hausmitteln wie aus Schwarzbrot gekochter Biersuppe oder bei Fieber mit Branntwein zu kurieren pflege. Leonhard Ludwig Finke wirkte allerdings nur bis 1780 in der Grafschaft Tecklenburg. In diesem Jahr wurde er als Professor an die Akademische Gymnasium in Lingen berufen und wurde 1802 zudem Kreisphysikus für Lingen. Mit der Auflösung der dortigen Bildungseinrichtung 1820 trat er als Medizinalrat mit 73 Jahren in den Ruhestand. Am 17. Januar 1837 starb er 89-jährig in Lingen.

In seinem langen Leben hatte er neben seiner Medizinertätigkeit noch insgesamt 17 wissenschaftliche Abhandlungen zwischen 1772 und 1828 verfasst, von denen ihn sein dreibändiger „Versuch einer allgemeinen medicinisch-praktischen Geographie“ (1792–1795) über die Grenzen Westfalens bekannt gemacht hat.