19.03.2021
Von Dr. Christof Spannhoff
Die sogenannte „Spanische Grippe“ (1918–1920) und die aktuelle Corona-Pandemie werden sicherlich als moderne Seuchen unvorstellbaren Ausmaßes in die Geschichte eingehen. Zuvor, aber auch heute noch, war allerdings eine andere Krankheit im europäischen kollektiven Gedächtnis fest verankert: die Pest! Zwar gab es auch schon immer Virus-Grippen, die die Menschheit quälten, aber diese wurden von den vormodernen Zeitgenossen nicht als solche erkannt und sind daher in der schriftlichen Überlieferung kaum zu fassen. Ganz anders verhält es sich bei der Pest, der wohl größten demographischen Katastrophe der Menschheitsgeschichte. Das zeigt schon ihr Name, denn lateinisch pestis heißt nichts anderes als Seuche.
Das älteste Pestgrab in Deutschland stammt nach neueren archäologischen Erkenntnissen aus der Jungsteinzeit (zwischen 5800 und 4000 v. Chr.). Bis zum Frühmittelalter ist dann allerdings kaum etwas über die bakterielle Infektionskrankheit und ihre Ausbreitung bekannt. Mitte des 6. Jahrhunderts n. Chr. wütete zumindest auch in Süddeutschland die von Ägypten ausgegangene Justinianische Pest (benannt nach dem damaligen oströmischen Kaiser Justinian, 527–565). Unsere gemeinsame historische Erinnerung prägt aber bis heute das plötzliche Wiederauftreten der Epidemie Mitte des 14. Jahrhunderts. Damals erreichte die Krankheit sicherlich auch das Tecklenburger Land, denn im nahen Münster und Umland sollen 11000 Menschen gestorben und in Osnabrück nur sechs Ehepaare nicht durch den „Schwarzen Tod“ getrennt worden sein.
Aufschneiden von Pestbeulen als Heilmaßnahme. Aus: Hans Folz, Item ein Fast köstlicher Spruch von der Pestilencz und anfenglich von den Zeichen die ein künfftige Pestilencz beteuten, Nürnberg 1482.
Foto: Dr. Christof Spannhoff
Diese Bezeichnung, die erst im 16. Jahrhundert auftaucht, rührt von der bläulich-schwarzen Verfärbung der Blutungen unter der Haut her, meint also eigentlich die Beulenpest – neben der Lungenpest und septikämischen Pest – als eine der drei Erscheinungsformen der Krankheit. Auf dem Land mit vereinzelt liegenden Gehöften wütete die Epidemie natürlich weniger als in den dicht besiedelten Städten. Da man sich den Ausbruch der Pest nicht erklären konnte, richtete sich der hilflose Zorn der mittelalterlichen Menschen gegen die jüdischen Mitmenschen, der unterstellt wurde, die Brunnen vergiftet und damit die Krankheit verursacht zu haben. Gegen die Pest könnten Aderlass oder verschiedene Mixturen aus exotischen Zutaten helfen, so meinte man. Auch religiöse Pestabwehr in Form von Prozessionen sollte Erlösung bringen.
Ein bei diesen Umgängen mitgeführtes Pestkreuz ist etwa im münsterischen Dom zu betrachten. Dessen Kopie wird noch heute bei der alljährlichen Großen Prozession durch Münster mitgeführt, die im Anschluss an die Pest 1382 und den Stadtbrand 1383 eingerichtet wurde. In Pestzeiten wurde vor allem zu den Heiligen Sebastian und später Rochus gebetet. Möglicherweise geht auf die Pestzeit des 14. Jahrhunderts auch der 1499 beiläufig genannte „Seekenkerckhove“ (Siechenkirchhof) in Ibbenbüren zurück, denn die Zahl der Toten konnten die üblichen Begräbnisplätze nicht fassen, sodass Seuchen- oder Pestfriedhöfe außerhalb der Ortschaften angelegt werden mussten.
Der Schwarze Tod erwürgt ein Opfer. Böhmische Buchmalerei aus dem 14. Jahrhundert.
Foto: Dr. Christof Spannhoff
Der Schwarze Tod suchte das Tecklenburger Land aber noch öfter heim. Vor allem vom Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts liegen Nachrichten darüber vor: 1574 brach in Osnabrück die Pest aus, die 4436 Todesopfer gefordert haben soll. Ein Jahr später erreichte die Epidemie auch das Umland. 1582 starb selbst Gräfin Anna von Tecklenburg an der Pest. Sie lebte damals allerdings in Münster. Im Juli 1585 brach die Krankheit erneut in Iburg aus. In einem Tecklenburger Register heißt es am 24. März 1589, dass die Eltern des Johan Luker (Lückener) aus Lienen-Meckelwege an der Pest gestorben waren. Chronikalische Aufzeichnungen aus dem Stift Leeden vermelden zum Jahr 1598: „Ist der Admirandt Inß Landt gefallen, Vnd zu Oßenbrugge In der pesten 7000 Menschen gestorben.“ Das war neben 1565/66 die zweite große Pestwelle des Jahrhunderts in der Region. Zum Jahreswechsel 1606/1607 wurde angezeigt, dass die Frau des Bauern Middendorp (Mindrup) in Lienen-Holperdorp von der Pest dahingerafft worden war. Damals grassierte die Krankheit auch in Osnabrück und Ibbenbüren. In Rheine tobte die Pest nochmals 1625. Besonders schwer muss die Grafschaft Tecklenburg im Jahr 1636 von der heimtückischen Seuche befallen gewesen sein. Denn der Tecklenburger Chronist Gerhard Arnold Rump meldete noch 1672: „Die Einwohner dieser Grafschafft haben billig Gott dem Herrn höchlich zu dancken für gute gesunde feine temperirte Lufft / dahero man von giftigen pestilentzialischen Seuchen und Kranckheiten alhie wenig zu sagen weiß / nur allein daß sie Anno 1636 alhie auch / wie sonst fast in ganz Europa gewaltig gehauset.“ In Burgsteinfurt sollen damals nur noch 50 Menschen gelebt haben. Alle anderen waren geflohen oder gestorben. Auch Horstmar und Greven waren betroffen. Die Seuche wurde damals vor allem durch umherziehende Soldaten übertragen.
Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) erlebte das Münsterland zwischen 1666 und 1669 eine letzte große Pestwelle. Am 10. Oktober 1666 erließ der münsterische Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen daher eine verschärfte Pestordnung. Man wusste damals noch nicht, dass die Krankheit durch Flöhe und Ratten übertragen wurde, sondern glaubte an eine Infektion über die Luft. Dementsprechend waren auch die Maßnahmen, die vor allem auf Isolation der Erkrankten setzten. Zumeist verbrachte man die Pestkranken außerhalb der Städte. In Rheine hingegen blieben sie innerhalb der Stadt und wurden in abgeschirmten Häusern untergebracht. Das Haus an der Wallstraße hier die „große Elende“, die Unterkunft im Katthagen die „kleine Elende“. Auch in Münster gab es vier Pesthäuser, die ebenfalls Elende genannt wurden. Seit dem Ende des 17. Jahrhundert wurde die Pest seltener. Dafür traten andere Epidemien in den Vordergrund: Pocken, Ruhr, Typhus und die Cholera. Das die Pest auslösende Bakterium wurde allerdings erst 1894 von dem Arzt Alexandre Yersin entdeckt. Nach ihm benannte man auch den Pesterreger: Yersinia pestis. Doch erst ein halbes Jahrhundert später wurde mit der Entwicklung von Antibiotika eine wirksame Bekämpfung möglich.
Zum Thema
Am Beginn der Infektionskette der Pest steht der Rattenfloh. Durch seinen Stich gelangt das Bakterium Yersinia pestis in die Blutbahn des Wirtstiers. Die infizierte Ratte überträgt den Erreger schnell auf Artgenossen. Nach dem Tod der Rattenpopulation sucht sich der Floh einen neuen Wirt: den Menschen. Ein massenhaftes Nagersterben geht also einem Pestausbruch in aller Regel voraus. Der Floh vermag dreißig Tage ohne Nahrungsaufnahme in Kleidern, Betten und Spalten zu überleben. Bei einer Temperatur unter 10 Grad Celsius fällt er in Kältestarre. Im Winter verbreitet sich die Beulenpest deswegen langsamer. Neben einem Flohstich oder der Infektion mit dem Kot der Parasiten über Hautverletzungen kann der Erreger auch über den Weg des Nasen-Rachen-Raumes mittels Tröpfcheninfektion übertragen werden. Dieser Übertragungsweg bedingt die Form der Lungenpest.